(Tschistopol, 24. Oktober 1931 – Appen, 13. März 2025)
Sie wurde in der russischen Republik Tatarstan geboren, die damals Teil der Sowjetunion war.
Sie studierte Klavier und Komposition am Kasaner Konservatorium und schloss ihr Studium 1954 ab. In Moskau absolvierte sie weitere Studien am Konservatorium bei Nikolai Peiko bis 1959 und anschließend bei Shebalin bis 1963.
Während ihres Studiums in der UdSSR wurde ihre Musik aufgrund ihrer alternativen Ansätze als „unverantwortlich“ bezeichnet. Unterstützt wurde sie dabei von Dmitri Schostakowitsch, der sie bei der Bewertung ihrer Abschlussprüfung ermutigte, ihren „schlechten Weg“ weiterzugehen.
Dann durfte sie trotz allem ihren Modernismus in mehreren Filmmusiken für Dokumentarfilme zum Ausdruck bringen, darunter in der 1968 gedrehten Produktion „On Submarine Scooters“, einem 70-mm-Film.
Mitte der 1970er Jahre gründete Gubaidulina zusammen mit den Komponisten Viktor Suslin und Vyacheslav Artemov Astreja, eine Gruppe für instrumentale Folk-Improvisation.
Im Jahr 1979 wurde sie auf dem VI. Komponistenkongress der Union der Sowjetrepubliken aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Musikergruppe „Khrennikovs Sieben“ auf die schwarze Liste gesetzt, da sie an einigen vom Regime missbilligten Festivals teilgenommen hatte.
Anfang 1980 erlangte sie im Ausland Bekanntheit durch die Aufführung ihres Konzerts für Violine und Orchester Offertorium durch den Geiger Gidon Kremer. Später komponierte sie eine Hommage an T. S. Eliot, wobei sie den Text des spirituellen Meisterwerks des Dichters, Four Quartets, verwendete.
Im Jahr 2000 erhielt sie zusammen mit Tan Dun, Osvaldo Golijov und Wolfgang Rihm von der Internationalen Bachakademie Stuttgart den Auftrag, eine Passion zum Gedenken an Johann Sebastian Bach zu komponieren – jeder Komponist verwendete dabei Texte aus einem der vier Evangelien.
Ihre Musik zeichnet sich durch die Verwendung ungewöhnlicher Instrumentalkombinationen aus. In dem Stück In Erwartung verwendet sie eine Kombination aus Schlaginstrumenten mit einem Saxophonquartett; Sie schrieb auch Stücke für Koto und Orchester und drei Sammlungen für Domra und Klavier zu tatarischen Volksthemen.
Anfang der 1980er Jahre begann Gubaidulina, die Fibonacci-Folge zur Strukturierung der Form ihrer Werke zu verwenden – etwa in der Symphonie „Stimmen... Verstummen...“, in „Perception“, im Schlagzeugstück „In the Beginning Was the Rhythm“, im Chor „Homage to Marina Tsvetaeva“, im Trio „Quasi hoquetus“, in der Sonate „Et exspecto“ und anderen. Die Komponistin verwendete die Fibonacci-Folge als Regel, um den Rhythmus ihrer Werke im Allgemeinen und im Besonderen zu organisieren.
Im Jahr 2004 wurde sie zum ausländischen Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters ernannt und 2013 erhielt sie auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.
„Fachwerk“ ist Geir Draugsvoll gewidmet, der einen Lehrstuhl für Akkordeon an der Kopenhagener Musikakademie innehat und die Weltpremiere des Werks am 13. November 2009 zusammen mit Anders Loguin (Schlagzeug) und der Amsterdam Sinfonietta unter der Leitung von Reinbert de Leeuw in Gent (Belgien) präsentierte.
Für Sofia Gubaidulina beinhaltet der Begriff Fachwerk, dessen Klang sie ungemein fasziniert, zwei Komponenten. Einerseits bezeichnet der Begriff das handwerkliche Können, das erforderlich ist, um eine Komposition hinsichtlich Struktur, Form, Architektur und Timing in ein aufführbares Musikwerk zu verwandeln. Andererseits hat der Begriff auch eine ästhetische Komponente. Denn die Fachwerkkonstruktion der Häuser des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit dient nicht nur baulichen Zwecken, sondern verleiht den Gebäuden auch ein besonders reizvolles und malerisches Aussehen. Auch im Bajan-Instrument ist das „Gitter“-Prinzip in den Augen des Komponisten aufgrund seiner Konstruktion und seiner spezifischen Klangmöglichkeiten perfekt umgesetzt. Auch in Sofia Gubaidulinas neuestem Instrumentalkonzert verschmelzen, wie schon in ihren bisherigen Werken, Schönheit und Konstruktion zu einem künstlerischen Ganzen. (Helmut Peters)